Volkskunst

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    Kunst einzelner regionaler oder sozialer Volksschichten; Ausdruck des Strebens nach ästhetischer Aneignung der Realität durch symbolhaft verzierte und ornamental gestaltete Gegenstände des täglichen Gebrauchs sowie der durch handwerkliche Tradition und Brauchtum geprägten Festlichkeiten (z.B. Hochzeiten, religiöse Feste u.a.). Bei der Bestimmung der Volkskunst steht daher das Typische bzw. Tradierte der jeweiligen Kunstprodukte neben dem ästhetischen Ausdruck. Volkskunst existiert neben der offiziellen Hochkunst überwiegend in weniger industrialisierten, ländlichen Regionen, aber ebenso als spezifischer Ausdruck städtischer, proletarischer und kleinbürgerlicher Volksschichten.

    Geschichte

    Der Begriff Volkskunst entstand zum Zeitpunkt ihrer allmählichen Nivellierung durch zunehmende Industrialisierung gegen Ende des 19. Jh.s; er bezeichnet ursprünglich "die Anfertigung im eigenen Hause und zu eigenem Bedarf" (Alois Riegl, "Volkskunst, Hausfleiß und Hausindustrie", 1894). Volkskunst ist überwiegend anonyme Produktion, z.T. aus spezialisierten Produktionszentren (schon im 16. Jh. Töpferware in Wanfried, Messingblechware in Aachen); ihre an handwerkliche Traditionen und überlieferte Ornamentik gebundene Herstellung zeigt regionale, lokale und - vor dem Hintergrund unterschiedlicher gesellschaftlicher Erfahrungen der sie tragenden Volksschichten - auch soziokulturelle Unterschiede. Unterscheidende Merkmale der Volkskunst sind demnach örtliche Traditionen und Brauchtum (z.B. Fastnachtsbräuche), Abgeschiedenheit von äußeren (religiösen, kulturellen, ethnischen) Einflüssen, hierarchischer bzw. ständischer Einbindung in die Gesellschaftsstruktur und auch einzelne Berufsgruppen (Bergleute, Sennen). Die Anbindung an handwerkliche und kulturelle Traditionen ist überwiegend so starr, dass ein mit der Hochkunst vergleichbarer Wandel der Stilepochen in der Volkskunst nicht existiert. Sie ist fast zeitlos, verschiedene Stilelemente unterschiedlicher Epochen wirken und existieren nebeneinander. Dennoch übernimmt die Volkskunst auch Elemente offizieller Hochkunst (so Rokoko-Elemente in der bayerischen Volkskunst) und wirkt auch auf die Hochkunst zurück. Stilistische Merkmale der Volkskunst sind: Flächenhaftigkeit ohne entwickelte räumliche Perspektive, Formelhaftigkeit, Reihung, Gegenständlichkeit (Symmetrie), paarweise Gruppierung, Flächenfüllung, ornamental-geometrischer Stil; gebräuchliche Ornamente sind: Sechsstern und Lebensbaum (Hochzeitsgaben), Dreieck, Kreis, Spirale, Wellenlinie; weitere Motive: Herzen, Tiere, Blumen, Familienszenen, Ei, Hufeisen, Drudenfuß, Rad, Sonne, Mond, Sterne. Gegenstände der Volkskunst sind das (Bauern-)Haus, Möbel, Gebrauchsgegenstände, Zierrat, Volkstrachten, Schmuck, Produkte aus Weberei, Wirkerei, Stickerei, Keramik, Schnitzerei und auch Haus-(Fassaden-)Malerei, Spruchbilder, Hinterglasmalerei. Im 17. und 18. Jh. erlebte die Volkskunst ihren Höhepunkt. Die industrielle Massenproduktion (Ende 19. und 20. Jh.) hat Motivik und Typik der Volkskunst weitgehend verdrängt; Postkarten, Drucke, Porzellan- und Plastikfiguren, Comics u.Ä. haben sich an ihre Stelle gesetzt (Ausnahmen in relativ isolierten geografischen Regionen wie z.B. Alpentälern). Damit ist dieser Bereich ästhetischer Produktion fast vollständig trivialisiert worden, die Produkte sind oft sentimentaler Kitsch. Nicht identisch mit der Volkskunst, hat sich seit dem 19. Jh. eine stilistisch unabhängige Laienkunst entwickelt (naive Malerei), eine Reaktion sowohl auf die Massenkultur wie auch auf die offizielle Kunst der Museen und Galerien.