Niederlande (Kunst)

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    Der Begriff niederländische Kunst bezeichnet die Kunst im Gebiet der heutigen Staaten Belgien (seit Begründung der belgischen Monarchie 1830 belgische Kunst genannt) und Niederlande; für die südlichen, habsburgischen Teile der Niederlande gilt (zwischen 1600 bis 1800, zum Teil bis 1900) die Bezeichnung "flämische Kunst".


    Spätmittelalter

    Als Teil des Heiligen Römischen Reiches und Frankreichs (bis 1384 Flandern) wirkte auf die mittelalterliche Kunst des niederländischen Raumes der karolingische und romanische Einfluss bis zur späten Gotik. Eine eigenständige Kunst entwickelte sich erst in Ansätzen, so zu Beginn des 12. Jh.s im landschaftlich geprägten Stil der Maasschule mit Goldschmiedekunst (Reliquiare, Schreine, Taufbecken, Kultgeräte), Steinplastik, Miniaturmalerei, Emailarbeiten. Meister der Maasschule: Reiner von Huy (Taufbecken in Saint Barthélemy, Lüttich, 1117), Godefroid de Huy, Nikolaus von Verdun.

    Die erhaltene sakrale Architektur aus romanischer und frühgotischer Zeit ist niederrheinischen (Sankt Servatius, Maastricht; Munsterkerk, Roermond) oder normannischen (Kathedrale von Tournai) Kirchen nachgebaut (ähnlich: romanische Liebfrauenkirche, Maastricht; Gertrudenkirche, Nivelles; Vincenzbasilika, Soignies). Gotische Kirchen (Dom von Utrecht, 1254-ca.1517; Grote Kerk, Den Haag, 15. Jh.; Kathedrale von Antwerpen, 1352 bis 1500) folgen französischer Kathedralbaukunst. Erst mit dem 14. Jh. bildete sich eine niederländische sakrale Architektur heraus: Westturm des Utrechter Doms (1321 bis 52), Turm der Kathedrale in Antwerpen (1521 bis 30). Sankt Bavo (Haarlem, ca. 1397-1400), Grote Kerk (Den Haag) zeigen schon den typisch lang gestreckten Chor mit Umgang ohne Kapellenkranz.

    Mit dem wirtschaftlichem Aufschwung der Städte entwickelte sich auch die Profanarchitektur (Befestigungen in Delft, Haarlem, Amsterdam; Stadttore in Gent, Brügge; Zunftbauten; repräsentative, spätgotische Rathäuser in Brügge ca. 1377-87, in Brüssel 1402 bis 50, Löwen 1448-68, Gouda 1450 bis 52).

    Zwischen 1384 und 1477 erreichte die niederländische Kunst einen ersten Höhepunkt durch die burgundischen Herzöge in Flandern (ab 1384), Brabant, Holland (ab 1433), die den bedeutenden Bildhauer C. Sluter und die großen Maler der niederländisch-burgundischen Schule (Buchmalerei, "Weicher Stil"): A. Beauneveu, M. Broederlam, J. de Hesdin, die Brüder von Limburg (narrative, realistische, poetische Miniaturenmalerei, eine Quelle niederländischer Landschafts- und Genre-Kunst) förderten.

    In den südlichen Niederlanden eröffneten Maler wie die Brüder van Eyck, R. Campin (Meister von Flémalle) mit Tafelbild und Bildnissen die Epoche altniederländischer Malerei, die das neuzeitliche realistische Porträt (insbesondere J. van Eyck) vorbereitete und deren Ausstrahlung von Deutschland über Frankreich bis Spanien reichte. Trotz der realistischen Tendenz der niederländischen Kunst im 15. Jh. blieb ihre symbolisch-religiöse Bindung bewahrt, so bei Rogier van der Weyden (Schüler Campins), bei Hugo van der Goes (Gent), G. David, H. Memling und andere; in den nördlichen Niederlanden: A. van Outwater , D. Bouts (Löwen), Gertgen tot Sin Jans (Haarlem), H. Bosch (Den Haag).

    16. Jahrhundert

    Die niederländische Kunst des 16. Jh.s stand überwiegend unter italienischem Einfluss. Es entstanden manieristische Strömungen, und in Antwerpen konzentrierten sich die Maler des Romanismus, darunter Q. Massys, J. Gossaert, B. von Orley, J. van Scorel, J. van Cleve, F. Floris; in den nördlichen Niederlanden (Lucas von Leyden) absorbierte die Malerei deutsche Einflüsse (A. Dürer).

    Haarlemer Künstler schufen um die Jahrhundertwende einen zugespitzten Manierismus als Übergangsstil ("Haarlemer Manieristen"; H. Goltzius, C. van Mander). Im Verlauf des 16. Jh.s spezialisierte sich die niederländische Kunst auf Porträtmalerei (A. Mor, P.J. Pourbus, C. Ketel), Genremalerei (J. van Hemessen, P. Aertsen mit Küchen-, Marktstücken, M. v. Rogmerswaele), Landschaftsmalerei (begründet durch J. Patinirs "Weltlandschaften" und durch G. van Coninxloo, P. Bril, J. de Momper).

    Bedeutendster niederländischer Maler des 16. Jh.s war P. Bruegel der Ältere mit seinen Bildern aus dem Bauernleben (streng komponiert, mit plastischer Wirkung und räumlicher Tiefe). Sie waren bestimmt durch die Befreiung der Bauern aus der Leibeigenschaft und zum Teil verknüpft mit der allgemeinen, allegorischen Darstellung moralischer und politischer Probleme seiner Zeit.

    Bedeutender Architekt des 16. Jh.s war C. Floris, der mit manieristischen Dekorationsstil (Florisstil) internationale Bedeutung erlangte und dessen Renaissancerathaus von Antwerpen (1561 bis 65) die niederländische profane Architektur stark prägte.

    17. Jahrhundert

    Klassische barocke Bauwerke des 17. Jh.s wurden von H. und P. de Keyser in Delft (Grabmal Wilhelms II. von Oranien, Nieuwe Kerk, 1614-22) und von J. van Campen und P. Post in Den Haag (Mauritshuis, 1633-44) geschaffen.

    Das 17. Jh. war in der niederländischen Kunst das große Jh. der Malerei, die sich allmählich von Romanismus und Manierismus emanzipierte und als Ausdruck revolutionären, bürgerlichen Selbstbewusstseins einen eigenen Stil entwickelte (holländische Schule). Anfang des 17. Jh.s wurden von den so genannten Utrechter Caravaggisten (H. Terbruggen, G. von Honthorst) noch italienische Einflüsse (Caravaggio) aufgearbeitet; doch war dies eine Sondererscheinung. Die Herausbildung einer eigenständigen holländischen Malerei geschah mit den Porträts und lebendigen Gruppenbildern des Frans Hals (Haarlem), mit den warmen, klaren und hellen Interieurs Vermeer van Delfts, mit den Landschaften (Tonmalerei) Jan van Goyens (Leyden, Den Haag).

    Daneben standen hochspezialisierte Künstler wie Porträtmaler (M.J. van Mierevelt), Maler von Stillleben (W. Kalf, W.C. Heda, P. Claesz) und Tiermaler (P. Potter, P. Wouvermans). Genremalerei, die das Bürgertum darstellte, schufen G. Terborch, der kostbar gekleidete Bürger malte, P. de Hooch, der in Delft Vermeer als Interieurmaler folgte, J. Steen, der ausgelassene Familienfeste darstellte, G. Metsu, N. Maes mit anekdotischen Themen.

    Bäuerliche Genremalerei (freundliche Wirtshausszenen) schufen A. von Ostade und P. Saenredam, E. de Witte malten Kircheninnenräume (Architekturbild). Die niederländische Landschaftsmalerei wurde nach stimmungsvoller Aussage und Thematik weiter differenziert (S.J. van Ruysdael, H. Seghers, A. van der Neer, mit realistisch-fantastischen, schwermütigen Bildern J. van Ruisdael, mit heiteren Landschaften A. van de Velde und A. Cuyps).

    Der in Amsterdam tätige Rembrandt Harmensz van Rijn hatte sich dieser Spezialisierung entzogen. Sein Werk (Gemälde, Zeichnungen, Radierungen) umfasst alle thematischen Bereiche und wirkte weit über die aktuelle Epoche der niederländischen Kunst hinaus, auch wenn er zu seiner Zeit nur wenig Verständnis und Würdigung fand. Nur einige niederländische Maler (Rembrandt-Schule, wichtigster Vertreter: C. Fabritius) haben sich durch sein (Früh-)Werk beeinflussen lassen.

    Die Kunst der südlichen Niederlande (flämische Kunst) war im 17. Jh. wesentlich durch P.P. Rubens bestimmt. Nach Schulung in Italien verband er in seinen sinnenfreudigen, festlichen und dynamischen Bildern italienische und flämische Barockelemente zu einem eigenen, repräsentativen Stil mit großer, bestimmender Wirkung auf seine Schüler und Zeitgenossen. Im Gegensatz zu Rembrandt war er mit seiner weitgespannten Thematik ein politischer Künstler mit riesigem Werkstattbetrieb. A. van Dyck war sein bedeutender Schüler, der aber die Niederlande verließ und in London als Hofmaler wirkte. Ein weiterer Künstler, der im Stil Rubens' malte, war J. Jordaens mit kraftvollen Volksbildern. Die realistische (Bauern-)Malerei A. Brouwers war nicht Teil der repräsentativen, offiziellen niederländischen Kunst, da sie menschliches Leid in Wirtshaus, Katen und Bauernhöfen darstellte.

    18. Jahrhundert bis Gegenwart

    Die niederländische Kunst des 18. Jh.s entwickelte keine innovative Kraft. Ihr akademischer Klassizismus war Ausdruck auch ökonomischer und gesellschaftlicher Stagnation. Die Bautätigkeit wurde reduziert, französischer Einfluss dominierte. Auch die niederländische Kunst des 19. Jh.s stand unter französischem und auch deutschem Einfluss, Historismus und Realismus waren bestimmend.

    Erst mit dem Werk des Malers V. van Gogh (Ende des 19. Jh.s) bekommt die niederländische Kunst wieder einen Impuls mit internationaler Wirkung; der wohl bedeutendste Maler der Neuzeit (stark verbunden mit der französischen Malerei) malte mit genialer Expressivität Porträts, Landschaften, Stillleben.

    In der Architektur erlangte H.P. Berlage (Amsterdamer Börse 1903) mit seiner Überleitung vom Historismus zum modernen Bauen europäische Bedeutung. Ähnlich bedeutsam für die moderne Architektur wurde die als Gegenreaktion auf die expressionistische "Amsterdamer Schule" gebildete "Stijl-Gruppe" (1917-26), in der P. Mondrian, T. van Doesburg als wichtigste Künstler mitarbeiteten. Daran knüpfte die holländische Architektur immer wieder an; in den 20er Jahren J. van Eesteren, J.J.P. Oud, danach J.A. Brinkmann und J. Duiker ("internationaler Stil"); in den 50er Jahren: in vorbildlicher Siedlungs- und Kommunalarchitektur beim Wiederaufbau Rotterdams Van den Broek, J.B. Bakema, A. van Eyck, aber auch H. Hertzberger, P. Blom, F. van Klingeren.

    Das Mahnmal für das zerstörte Rotterdam schuf der französisch-russische Bildhauer O. Zadkine. Der belgische Stijl-Bildhauer G. Vantongerloo hatte starken Einfluss auf die überwiegend konstruktivistische Plastik in den Niederlanden (C.N. Visser, A. Volten).

    In der modernen Malerei ist das neoplastische Werk Piet Mondrians von hervorragender Bedeutung, dessen Konstruktivismus Künstler wie T. van Doesburg, B. van der Leck stark beeinflusste. Als Gegenreaktion auf den Konstruktivismus bildeten sich in den 1930er und 1940er Jahren surrealistische Tendenzen heraus. 1949 wurde in Amsterdam die Gruppe Cobra gegründet (1951 aufgelöst), die den abstrakten Expressionismus pflegte (K. Appel, Lucebert). Als Grafiker wirkten M.C. Escher, A. Heyboer.

    Avantgardistische Kunst wie Op-Art, serielle Kunst, Landart, Konzeptkunst ist Teil moderner niederlänischer Kunst des 20. Jahrhunderts (Woody van Amen, Ad Dekkers, J. Dibbets, J. Schoonhoven).

    Weblinks

    Holländische und flämische Meister des 16. und 17. Jahrhunderts