Geschichte: Entdeckungen und Erfindungen

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    Bei aller derb-sinnlichen Lebensfreude betrachtete und bewertete der mittelalterliche Mensch die Dinge der Welt sub specie aeternitatis, im Licht der Ewigkeit. In der zweiten Hälfte des Mittelalters werden zuerst vereinzelt, dann immer vielfältiger Stimmen einer subjektiven, zugleich aber auch an der Sache selbst orientierten Weltsicht laut. Italien und Burgund sind führend in der humanistischen Entdeckung der menschlichen wie der außermenschlichen Natur. Das Erfinden und Entdecken, das Forschen und die politisch-wirtschaftliche Expansion wurden zu Hauptzielen aller geistigen und materiellen Anstrengungen; und sie blieben von der Schwelle der Neuzeit bis zum heutigen Tag die entscheidenden Triebfedern für das politische Handeln des Menschen und die zentralen Leitlinien seiner Weltanschauung.


    Diese "moderne" Haltung, die der mittelalterlich-religiösen, auf Dauer und Stetigkeit gerichteten Lebensauffassung ihrem Wesen nach diametral entgegengesetzt ist, musste zunehmend revolutionär wirken. Sie hat den Strom der Geschichte ungemein beschleunigt und auf allen Gebieten so grundlegende Umwälzungen gebracht, dass wenige Jahrzehnte neuzeitlicher Geschichte gestaltwandelnder wirkten als Jahrtausende gemächlicher Entwicklung in frühmenschlicher Zeit. Mit der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit übernahm das Abendland die Führung in der Welt, bestrebt, die neuen Erkenntnisse und Ideen im gesamten Erdkreis zu verwirklichen. So steht die Neuzeit im Zeichen einer Europäisierung der Welt.

    Der habsburgisch-spanischen Conquista in Mittel- und Südamerika folgte die Expansionspolitik der Engländer, Franzosen und Holländer unter der Parole des "Mare liberum", der "Freiheit der Meere". Sie lässt zugleich die führenden Kräfte dieser europäischen Ausbreitung erkennen: Im Gegensatz zu dem unzeitgemäßen Imperium Karls V., der die mittelalterliche Kaiserherrlichkeit noch einmal im Weltmaßstab erstehen lassen wollte, sind es jetzt die werdenden europäischen Nationalstaaten.

    Die ersten Ansätze zur Ausweitung des geografischen Weltbilds lieferten die Araber. Ihr Handel, der die Seide Chinas und die Gewürze der Molukken, die Edelsteine Indiens, Elfenbein und Sklaven afrikanischer Herkunft nach Europa brachte, knüpfte den ersten Kontakt zu den großen Kulturräumen und Völkern des Mittleren und Fernen Ostens. Die Venezianer, insbesondere die Polos übernahmen diese arabische Tradition. Der berühmteste Repräsentant dieser Kaufmannsfamilie, Marco Polo, verfasste um 1300 Reiseberichte.


    Die Araber hatten die chinesische Kunst der Papierherstellung kennen gelernt und übermittelten sie über den Nahen Osten den Spaniern und Italienern. Inwieweit die koreanische Kunst des Buchdrucks mit beweglichen Buchstaben (Anfang des 15. Jh.s) auf die Erfindung des Mainzers Johann Gutenberg Einfluss hatte, ist von der Forschung noch nicht entschieden. Ungeklärt ist auch die Geschichte der beiden wichtigsten Erfindungen dieser Epoche, des Kompasses und des Schießpulvers. Man sieht die Zusammenhänge wohl richtig, wenn man bedenkt, dass erst die Zeit des Umbruchs die geistigen Voraussetzungen für die Wiederaufnahme und praktische Auswertung älteren Wissen schuf; epochemachende Erfindungen konnten jetzt erst zur Geltung kommen. Es ist gleichgültig, ob chinesische, persische, antike oder wikingische Überlieferungen dabei Pate standen oder nicht (Schwefel, Kohle Salpeter im chinesischen Schießpulver, chinesische Magnetsteine, schwimmender Magnetstein des wikingischen Holzbüchsen-Kompasses).

    Die innerafrikanischen Waren - Elfenbein, Ebenholz, Straußenfedern und die Sklaven des schwarzen Erdteil - zogen neben den arabischen Händlern vor allem die Portugiesen an. Der portugiesische Prinz Heinrich der Seefahrer brachte System in alle diese Unternehmungen. Die in seinen Auftrag 1445/46 unternommenen Erkundungsreisen, die in die tropische Zone Westafrikas führten, stützten sich auf eine sorgfältige geografische und nautische Vorbereitung, die ein Stab von Fachleuten unter Leitung des Prinzen getroffen hatte. Die antiken und mittelalterlichen Vorurteile und Irrlehren über den Atlantik und über die Tropen wurden widerlegt.


    Nach dem Türkeneinbruch im Nahen Osten, der bald den europäischen Osthandel auf den traditionellen Handelsstraßen völlig lahm legte, fiel den Portugiesen die Initiative zu Entdeckungsreisen zu. Im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts unternahmen - gestützt auf die Erkenntnisse Martin Behaims - Bartholomeu Diaz und Vasco da Gama ihre großangelegten Fahrten in königlichem Auftrag. Vasco da Gama umsegelte 1498 das Kap der Guten Hoffnung und gelangte in 24 Tagen nach Indien (Calicut). 1502 wiederholte er seine Reise und zwang indische Fürsten zum Abschluss von Bündnissen mit Portugal. 1510 wurde Goa die Hauptstadt des portugiesischen Besitzes in Indien, 1513 eroberten die Portugiesen die Insel vor Kanton und knüpften Handelsbeziehungen mit China. Doch erst nach den Entdeckungen des Christoph Kolumbus (1451-1506) wurden die portugiesischen Fahrten durch die Weltumseglung des Fernao de Magalhaes abgeschlossen, der 1520 auf den Philippinen starb, während sein Expeditionsschiff 1523 mit stark dezimierter Mannschaft nach Portugal zurückkehrte.


    Spanien konnte erst nach Abschluss der Reconquista (der "Wiedereroberung" der arabischen Besitzungen in Spanien, die mit dem Fall Granadas 1492 beendet war) und nach seiner Einigung durch Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon (1479) mit voller Kraft in den Wettbewerb um koloniale Schätze eintreten. In Ferdinands Auftrag unternahm der Genuese Christoph Kolumbus das Wagnis, den Seeweg nach Indien auf der Westroute zu suchen. Er kannte die neuesten geografischen Theorien der Portugiesen, die schon in Brasilien gelandet waren, aber auch die arabische Lehre von der Kugelgestalt der Erde und den Globus des Nürnbergers Martin Behaim, der das geografische Wissen seiner Zeit anschaulich spiegelt.

    Dass Kolumbus auf seiner zwischen dem 3. August und dem 12. Oktober 1492 mit drei Schiffen unternommenen "Indienreise" einen neuen Kontinent entdeckte, ist ihm selber nicht bewusst geworden. Mit den Geografen seiner Zeit hatte er zwar die Kugelgestalt der Erde richtig erkannt, ihren Umfang aber wesentlich unterschätzt. Er musste glauben, mit Guanahani (San Salvador) eine indische Insel gefunden zu haben; nach seiner zweiten Reise, wobei er Dominica, Puerto Rico und Jamaica entdeckte, ließ er die Nachricht von der Auffindung "Westindiens" in Flugzetteln verbreiten, und auch seine Entdeckung des Orinoco-Gebiets auf der dritten Reise in Südamerika konnte seine Vorstellungen nicht ändern. Erst das tiefere Eindringen in den Kontinent durch die spanischen und portugiesischen Eroberer (Hernándo Cortés, Francisco Pizarro, Vasco Baiboa und Francisco de Cortoba) und die Auseinandersetzung mit den Hochkulturen der Maya, Azteken und Inka sowie die Entdeckung der Südsee (Baiboa) ließen Klarheit gewinnen über das Wesen des neuen Kontinents. Seinen Namen erhielt er von dem Italiener Amerigo Vespucci (1451-1512), der in seinen Reiseberichten die Neue Welt in Ansätzen systematisch zu schildern versuchte.